Einbürgerung und Spracherwerb (neue Entscheidungen)

I. Der „entscheidungserhebliche Sprachverlust“ (Zeitpunkt von Erwerb und Nachweis):
Sowohl die Anspruchseinbürgerung nach § 10 als auch die Ermessenseinbürgerung nach § 8 Staatsangehörigkeitsgesetz (- StAG – i.d.F.v.11.10.2016) setzen u.a. grundsätzlich den Erwerb ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache – mündlich und schriftlich – voraus. Mit seiner Entscheidung vom 05.06.2014 (BVerwG 10 C 2.14) hat das Bundesverwaltungsgericht bekräftigt, dass es zur Beurteilung des Vorliegens der ausreichenden Sprachkenntnisse auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Einbürgerungsantrag ankommt (letzte mündliche Verhandlung in der Tatsacheninstanz). Dies gilt auch dann, wenn ein Fall des § 10 Abs. 6 StAG vorliegt, nach welchem u.a. von den Sprachkenntnissen abgesehen wird, wenn die*der Ausländer*in diese Voraussetzung wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann. Darauf, ob die Betroffenen in früheren Jahren die Möglichkeit gehabt hätten, die Sprachkenntnisse zu erwerben, komme es nicht an.

Die Konsequenz oder auch Kehrseite dieser zu begrüßenden Rechtsauffassung zeigt sich in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 04.06.2018 (4 K 2167/15).

Ein*e Ausländer*in, die*der früher einmal ein Zertifikat über den ausreichenden Spracherwerb erworben hat, kann nicht zwingend damit rechnen, dass dieses als Nachweis bei einer erst später erfolgenden Einbürgerung ausreicht. Im vom Verwaltungsgericht Aachen entschiedenen Fall lagen drei Jahre zwischen dem erfolgreichen Bestehen der Sprachprüfungen und der Entscheidung über den Einbürgerungsantrag. Die tatsächliche Sprachkompetenz war nach Auffassung der Behörde durch Gespräche mit dem Antragsteller „erschüttert“, da ein Dolmetscher angefordert werden musste. Das Zertifikat, so das Verwaltungsgericht Aachen, indiziere zwar zunächst, dass seinerzeit ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 6, Abs. 4 S. 1 StAG vorhanden gewesen seien. Das Zertifikat könne aber für sich genommen nicht mehr als Nachweis dafür zugrunde gelegt werden, dass auch heute noch über die erforderlichen ausreichenden Sprachkenntnisse in schriftlicher und mündlicher Form verfügt werde. Zwar reiche allein das Alter eines Zertifikats nicht aus, ihm die weitere Indizwirkung für das Vorliegen der ausreichenden Sprachkenntnisse abzusprechen. Etwas anderes gelte aber dann, wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestünden, dass es nach dem Erwerb dieser Sprachkenntnisse in der Folgezeit zu einem entscheidungserheblichen Sprachverlust gekommen sei. Solche tatsächlichen Anhaltspunkte lägen z.B. vor, wenn bei einem späteren Test in (Teil-) Prüfungen nicht mehr das geforderte Niveau erreicht oder schlechter bewertet worden sei.

II. Der Nachweis des krankheitsbedingten Unvermögens zum Spracherwerb
In Weiterverfolgung einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts NRW vom 01.09.2017 (19 E 162.17) hat der Verwaltungsgerichtshof BW über die Voraussetzungen des Nachweises einer Unmöglichkeit des Spracherwerbs im Sinne des § 10 Abs. 6 StAG entschieden (B. v. 16.05.2018, 12 S 1666.17). Die*der Einbürgerungsbewerber*in habe aufgrund seiner aus § 37 Abs. 1 S. 2 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes folgenden Mitwirkungspflichten ein gewissen Mindestanforderungen genügendes fachärztliches Attest vorzulegen. Aus dem Attest müsse sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt habe und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstelle, insbesondere inwieweit sie die Fähigkeit des*r Einbürgerungsbewerbers*in zum Erlernen der deutschen Sprache beeinträchtige. Zu den mitzuteilenden ärztlichen Erkenntnisgrundlagen würden in diesem Zusammenhang Angaben darüber gehören, seit wann und wie häufig sich der*die Patient*in in ärztlicher Behandlung befunden habe, welche Art von Befunderhebung stattgefunden habe und ob die vom*von der Patienten*in geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt würden. Ferner solle das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben.

Beim Fehlen eines solchen aussagekräftigen ärztlichen Attests bestehe für das Gericht, so der Verwaltungsgerichtshof weiter, keine Veranlassung, den Sachverhalt von Amts wegen weiter zu erforschen und ein entsprechendes Sachverständigengutachten einzuholen; auch ein eventueller Beweisantrag müsse als unsubstantiiert angesehen werden.

Für alle Betroffenen kann diese Entscheidung eine Hilfe darstellen, da sie auch für die behandelnden Ärzte*innen klarstellt, worauf es in einem Attest ankommt und dass dieses gleich beim Antrag an die Behörde in dieser Weise differenziert sein sollte.

Berlin, den 11.10.2018

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